Probleme im Untergrund
Reizthema Steintor-Bebauung
Im Rahmen des Projektes Hannover City 2020+ ist – trotz der aktuell gelaufenen Bürgerbeteiligung zu einer Neugestaltung – weiterhin angedacht, auf dem Steintorplatz zwei Wohn- und Geschäftsgebäude entstehen zu lassen. Bereits 2007 fand ein städtebaulicher Wettbewerb zur Gestaltung der Langen Laube statt. Die Entwicklung des Steintorplatzes als Schnittstelle zwischen City und westlicher Vorstadt war dabei Wettbewerbsbestandteil. Hierbei sollte die historischen „Lavesachse”, die von der Georgstraße weiter in die Lange Laube führt, stärker konturiert und herausgearbeitet werden. Ein Bebauungsvorschlag des Architektenbüros Jabusch und Schneider soll dabei laut Verwaltung die Chance für eine „Stadtreparatur” an bedeutender Stelle bieten (quasi die Wiederherstellung der Straßenzüge vor dem 2. Weltkrieg). Der Entwurf mit zwei neue Baufeldern sollen den „öffentlichen Raum neu konturieren“ und durch die Umgestaltung eine „positive Wirkung auf ihre unmittelbare Umgebung entfalten”. Nach dem Willen der Stadt sollte der Bau recht zügig schon 2017 beginnen. Es hieß damals: „Aus Sicht der Landeshauptstadt Hannover ist dieser Planung eindeutig der Vorrang vor dem Erhalt des Stadtplatzes einzuräumen.“
Anhand der Siegerentwürfe von Jabusch und Schneider erkennt man die Konturierung des Platzes mit einer sechsgeschossigen Bebauung mit ca. 22 m Höhe. Der südliche Baukörper an der Münzstraße bildet sich dreieckig aus, der nördliche (zur Goseriede hin) hat eine fünfeckige Grundrissform. Eingefasst werden die Bauten durch die Randbebauung des Steintorplatzes, die nach wie vor hohe Defizite aufweist. Kriegslücken, zweigeschossige Provisorien und heruntergekommene Fassaden des Rotlichtviertels wären eigentlich die vorrangige Aufgabe einer Stadtreparatur. Zwischen Goethe-, Münz-, Georg- und Kurt-Schumacher-Straße sollen die beiden Bauten die „Lavesachse” präsentieren und mittels besonderer Ankermieter soll der „Standort Steintor nachhaltig positiv gestärkt“ werden.
Die D-Tunnel-Trasse soll mit der Bebauung leichtfertig verworfen werden.
Das Problem dabei: der zur Zeit politisch nicht behandelte, aber immer noch vorliegende und nicht abgesetzte Bebauungsplan Nr. 1723 (Drucksache Nr. 15-2256/2015) verwirft leichtfertig die D-Tunnel-Trasse und die Vorleistung einer halben, im Rohbau vorhandenen Kreuzungsstation. Es heißt im Bebauungsplan: „Durch den Grundsatzbeschuss zum oberirdischen barrierefreien Aus- und Neubau der Stadtbahnstrecke D-West wird der Rohbaukörper in der Minus-3-Ebene nach derzeitiger Beschlusslage nicht benötigt. Die an den Stationsanteil anschließende Trasse wird aufgeben und steht für Kellergeschosse zur Verfügung.“ Weitere Details finden sich im Sitzungsmanagement der Stadt unter der Adresse: https://e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/DS/15-2256-2015.
Der links stehende Plan zeigt deutlich, dass die Bebauung zu 80% auf der geplanten Trasse des D-Tunnels zu liegen kommt. In Rot ist die geplante Bebauungsfläche eingezeichnet, Grün stellt den Verlauf des D-Tunnels dar. In der Mitte der bestehenden Station (Gelb) befindet sich eine halbe Halle als Vorleistung inklusive mittiger, vorbereiteter Abgänge (in der Anlage, Umfang und Ausmaßen etwa vergleichbar mit Aegidientorplatz). Dies soll laut Bebauungsplan verworfen werden. Die noch auf beiden Seiten zu errichtenden Stationsteile werden durch die geplanten Bauten verstellt. Hier sind Vorleistungen in Form von U-förmigen Brückenfundamenten oder von Stationshallen zu tätigen, die der BPlan allerdings nicht mehr fordert.
Übergabe der Online-Petition „Stoppt Projekt 10/17“ am 16.06.2016
Die Online-Petition der Initiative Pro D-Tunnel e. V. für eine dauerhafte Tunnellösung für die Linie 10 nach Ahlem wurde am 31.05.2016 mit 5931 Unterschriften abgeschlossen. Am 16. Juni 2016 hat Herr Bürgermeister und Ratsvorsitzender Thomas Hermann in Vertretung für Herrn Oberbürgermeister Stefan Schostok die Petition und alle gesammelten Unterschriften entgegengenommen.
Die zwei Kernforderungen der Petition bleiben nach wie vor bestehen. Gefordert wird die Etablierung einer Tunnellösung für die Linie 10 und einer späteren Linie für die Wasserstadt Limmer. Dies kann durch die Zwei-Linien-Lösung („Scheelhaase-Lösung“) kostengünstig erreicht werden. Dabei werden die Innenstadt und der Hauptbahnhof sowohl unter- als auch oberirdisch erreicht. Ebenso ist der Schutz der Vorleistungen für den D-Tunnel aufgrund der nach wie vor vorhandenen Beschlusslage zum Bebauungsplan Steintor eine weitere wichtige Forderung dieser Petition. Durch die Bebauung am Steintor ist die Idealtrasse des geplanten vierten Stadtbahntunnels mit seinen vorbereiteten kurzen Wegebeziehungen unnötigerweise extrem gefährdet.
Das beiläufige Verwerfen der D-Tunnel-Trasse widerspricht beschlossenen Handlungsrichtlinien und bedarf Beschlüssen vom Rat und/oder der Regionsversammlung! Bei Inkrafttreten des derart unveränderten Bebauungsplans Nr. 1723 wird eine Normenkontrollklage vor dem Oberverwaltungsgericht angestrebt.
1.) Das stärkste Argument, um den noch immer vorliegenden BPlan zur Steintor-Bebauung anzugreifen, ist die fehlende Handhabe der Verwaltung der Landeshauptstadt (LHH) zur Planung des Nahverkehrs. Die Region Hannover ist für die Planung des ÖPNV in der Region und der Landeshauptstadt zuständig, nicht die LHH-Verwaltung. Mit dem BPlan wird de facto in die ÖPNV-Planung eingegriffen. Grundlage für selbige ist der Nahverkehrsplan (NVP). Noch im NVP 2008 wurde die D-Tunnel-Trasse vom Goetheplatz bis zum Bismarckbahnhof auf der Karte 9.2 „Schienennetz” als „langfristige Planungsoption” und „freigehaltene Trasse” eingezeichnet (siehe Kartenanlage). Weder der NVP 2008 noch der NVP 2015 erwähnten zudem in irgendeiner textlichen oder bildlichen Form die Aufgabe weiterer Tunnelplanungen. Es ist somit ersichtlich, dass die Landeshauptstadt keinerlei Handhabe hat, in die ÖPNV-Planungen der Region einzugreifen, selbst wenn diese die Steintor-Bebauung hinnehmen würde. Die Regionsversammlung müsste ebenso (wie im Rat) die Aufgabe der Tunneltrasse mittels einer Beschlussdrucksache beschließen, statt stillschweigend schwache Automatismen der Stadtverwaltung greifen zu lassen. Solange dieser Beschluss politisch nicht vorliegt, ist das Verwerfen der Tunneltrasse durch die LHH vom Oberverwaltungsgericht zu überprüfen.
2.) Der aktuelle Flächennutzungsplan der LHH hat nach wie vor Trassensicherungen der ursprünglichen U-Bahn-Planungen eingezeichnet (siehe Kartenanlage). Dort findet sich auch die Innenstadttrasse des D-Tunnels wieder. Um derartige Flächensicherungen umzuwidmen oder zu verwerfen, bedarf es eines Änderungsverfahrens. Ein gleichlautendes Verfahren zur Aufgabe der D-Tunnel-Trasse im Zuge des Bebauungsplans Nr. 1723 liegt aktuell nicht vor und müsste deshalb angestrebt und von der Ratsversammlung beschlossen werden, um rechtskräftig zu sein. Zum Beweis gibt es eine Handvoll Beispiele, in denen die Verwaltung der LHH bei geplanten Bauvorhaben zuvor im Flächennutzungsplan eingetragene Flächen oder Trassen der Stadtbahn nachweislich durch Ratsbeschlüsse aufgehoben hatte. Warum das beim BPlan Steintor nicht der Fall sein soll, ist somit zu hinterfragen und ebenfalls vom Oberverwaltungsgericht zu überprüfen.
3.) Ein Verwerfen der D-Tunnel-Trasse widerspricht zudem vorliegenden Handlungsrichtlinien der Stadtverwaltung – so z. B. dem „Masterplan Mobilität 2025”. Ex-OB Stephan Weil stellt im Vorwort zu diesem fest: „Der Masterplan Mobilität 2025 […] enthält ein umfassendes Handlungsprogramm zur Sicherung und Entwicklung einer zukunftsweisenden Mobilität. […] In den nächsten 15 Jahren wird das Handlungsprogramm zusammen mit den Akteuren im Sektor Verkehr kooperativ und konsequent umgesetzt.“
Deutlich wird auf Seite 52 erneut auf die Grundlagen des NVP hingewiesen: „Die im Nahverkehrsplan der Region Hannover (2008) und im Flächennutzungsplan der Stadt dargestellten Entwicklungsmöglichkeiten der Infrastruktur wurden im Planungsprozess […] hinsichtlich ihrer weiteren Planungsrelevanz diskutiert und einer groben Bewertung unterzogen.” Unterstützt wird dies mit einem ergänzten Netzplan der Stadtbahn, in dem weitere Schienen-Ausbaumaßnahmen mit und ohne Relevanz eingetragen sind (siehe Kartenanlage).
Der D-Tunnel mit seiner gesamten Innenstadt-Strecke Goetheplatz–Steintor–Hbf.–Marienstr. als „Tunnelstrecke“ und die Strecke Marienstr.–Sallstr.–Kerstingstr. als „Verlängerung“ wird als „Netzergänzung (NVP, FNP): planungsrelevant“ eingezeichnet. D. h. der Masterplan Mobilität 2025 sieht diese Tunneltrasse als weiterhin verfolgenswert an unter Grundlage des aktuellen Nahverkehrs- und Flächennutzungsplans. Mit 40 Stimmen gegen 18 Stimmen beschloss die Ratsversammlung am 27.01.2011 den Masterplan Mobilität 2025 für die Landeshauptstadt Hannover. Damit sind die beschlossenen ÖPNV-Handlungsweisen für die Stadt und den Stadtbaurat längerfristig bindend.
4.) In der 20. Sitzung der Ratsversammlung am Donnerstag, 25. April 2013, beschloss der Rat mit 36 Stimmen gegen 18 Stimmen den Grundsatzbeschluss zum Ausbau der Stadtbahnstrecke D-West. Der Rat hat dem Protokoll-Wortlaut nach lediglich grundsätzlich beschlossen, die verbleibende D-Linie oberirdisch auszubauen. Mit keinem Wort wurde dort zusätzlich erwähnt, dass man somit gleichzeitig dem später möglichen weiteren Ausbau des Stadtbahnnetzes mit Innenstadt-Tunneln eine Absage erteilt. Wie oben erwähnt steht es dem Rat nicht zu, in die ÖPNV-Planung einzugreifen, sondern muss solche durch Beschlüsse der Regionsversammlung manifestieren. Derartige Beschlüsse liegen aber bis zum heutigen Tage nicht vor.
Fazit: Sofern also keine Beschlüsse vom Rat bzw. der Regionsversammlung vorliegen, ist das Verwerfen der Trasse rechtlich fragwürdig. Die D-Tunnel-Trasse muss also bei einer geplanten Bebauung vom Investor mit geeigneten Maßnahmen geschützt werden!
Das Ausschöpfen rechtlicher Wege
Als die Steintor-Pläne immer konkreter wurden, reichte die Initiative Pro D-Tunnel Anfang Januar 2016 Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Stadtbaurat Uwe Bodemann beim Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD) ein. Diese Beschwerde wurde weder beantwortet noch politisch behandelt, sondern fand lediglich marginalen Einfluss in das Bürgerbeteiligungsverfahren. Wenig später wurden insgesamt 58 Einwände von Bürgerinnen und Bürgern als auch jene von Pro D-Tunnel zu 100% abgelehnt (man fragte sich, warum dann überhaupt eine Bürgerbeteiligung stattgefunden haben musste…). Zeitgleich am 4. Januar 2016 stellte Pro D-Tunnel beim Verwaltungsgericht Hannover einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung, mit der die Einstellung (bzw. Korrektur) der öffentlichen Auslage der Unterlagen des Bebauungsplans zur „Bürgerbeteiligung“ erreicht werden sollte. Dieser wurde jedoch recht schnell am 6. Januar 2016 vom Verwaltungsgericht abgelehnt. Die Verwaltungskosten des nicht angelaufenen Verfahrens konnten dankenswerterweise durch Spenden aufgrund der Presseberichte zum Widerstand gegen die Bebauung recht zügig gedeckt werden.
Als kurz vor der Kommunalwahl 2016 das Thema weiterhin politisch konsequent durchgezogen wurde und sich keine Aussicht auf Einsicht oder Änderungen einstellten, drohte die Initiative mit einer Normenkontrollklage vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg. Sobald ein unveränderter BPlan Nr. 1723 rechtskräftig werden würde und die oben genannten fraglichen Punkte nicht geklärt oder keine Beschlüsse herbeigeführt worden sind, würde Pro D-Tunnel mit anwaltlicher Hilfe Klage einreichen.
Kommunalwahl 2016: Mehrheitsverluste bei Rot-Grün – auch wegen dem Thema Steintor
Am 11.09.2016 fand die Kommunalwahl 2016 statt. Größter Verlierer dieser Wahl war Rot-Grün: Sowohl in der Landeshauptstadt als auch in der Region verloren SPD und Grüne auf breiter Front in ihren jeweiligen Stamm-Milieus. Eine Fortsetzung der rot-grünen Koalitionen im Rat und in der Regionsversammlung war dadurch nicht mehr möglich. Nach den Koalitionsverhandlungen etablierte sich im Rat der Stadt Hannover eine „Ampel” aus SPD, Grüne und FDP. Deren erste Amtshandlung war das Kippen der umstrittenen Pläne für eine Bebauung des Steintorplatzes. Es gab zwar keinen Koalitionsvertrag, aber eine gemeinsame schriftliche Erklärung, in welcher die „Ampel” deutlich Abstand von einer Bebauung des Platzes nahm.
Herbert Schmalstieg, dienstältester Oberbürgermeister Deutschlands, wurde von der Presse befragt, wo innerhalb der Parteien etwas schiefgelaufen ist. „Es gibt eine nicht unerhebliche Kritik an der Informationspolitik der Bauverwaltung. Und die Steintorplatz-Bebauung wird uns [der SPD] angelastet”. Auch hinter vorgehaltener Hand wurden bei SPD und Grünen nach der Wahl das Thema Steintor-Bebauung und die massive Kritik der Bürgerinnen und Bürger als Stimmen-Killer genannt – das große Wunden-Lecken…
Dennoch schafften es die Parteien nicht, den Bebauungsplan Nr. 1723 zurückzunehmen. Der Stadtbezirksrat Mitte stimmte am 14.05.2018 mit 16 Stimmen dafür, 2 Stimmen dagegen, 0 Enthaltungen für eine Aufhebung aller Verfahrensschritte zur Bebauung des Steintorplatzes. Die Verwaltung lehnte dies mit der Drucksache Nr. 15-0764/2018 S1 ab. Formell liegt der BPlan Nr. 1723 de facto also unbehandelt in der Schublade. Außerdem spricht die Verwaltung in ihrer Begründung dieser Ablehnung selber das oben bereits mehrfach genannte Problem an, dass ohne Ratsbeschlüsse andere Handlungsweisen oder Drucksachen keine verbindliche Wirkung zeigen.