„Projekt 10/17”
Der „Posttunnel”
Wenn vom sogenannten „Posttunnel” die Rede ist, handelt es sich um die Bahnunterführung im Zuge der beginnenden Lister Meile (links des Bahnhofsgebäudes). Diese denkmalgeschützte Brücke mit gußeisernen Stützen stammt aus dem Jahr 1879 (als alle Bahngleise höhergelegt wurden, was Vorbild für alle Bahnanlagen wurde). Sie hat eine zulässige Durchfahrtshöhe von maximal 3,60 m (siehe Verkehrsschild rechts). Nach einer amtlichen Höhenvermessung von Pro D-Tunnel wurde in der Mitte der Brücke eine Höhe von 4,01 m gemessen. Ein TW 2000 („Silberpfeil”) allerdings hat eine Höhe von 3,74 m – nur bis zu den Dachaufbauten, Stromabnehmer, Fahrdraht und Sicherheitsabstand noch nicht mitgerechnet! Vergleichbare Stadtbahnunterführungen wie z. B. im Verlauf der Hildesheimer Straße weisen aber eine Höhe von 4,20 m auf. Zudem gibt es die Vorschrift, dass im Notfall eine Bahn immer schnell stromlos zu legen sei, das heißt, dass der Stromabnehmer mit einem größeren Abstand vom Fahrdraht genommen werden kann, ohne dass dann weiter Strom fließt. Unter einer Brücke ist das für Notfälle besonders wichtig. Eine Mindestfahrdrahthöhe von 3,95 m ist damit vorgegeben. Die Initiative Pro D-Tunnel e. V. hatte schon früh auf das Problem der zu niedrigen Brückendurchfahrt hingewiesen.
Damit wurde schnell klar, dass die Lister Meile unter Beachtung der Sicherheitsabstände für die Fahrleitung mindestens 40 cm tiefergelegt werden musste – und nicht nur 10 cm, wie die Region Hannover unlängst beteuerte. Dies galt in jedem Fall für die Befahrung mit den nach derzeitigem Stand einzusetzenden Fahrzeugtypen. Ein erster Plan der Infra mit dem geplanten Querschnitt innerhalb der Brücke (übrigens ohne selbige, d. h. nach oben hin „offen”…) und den von uns zusätzlich eingezeichneten Brückenträgern zeigt deutlich, dass eine normale Stromabnehmer-Haltung (links) die Höhe ohnehin sprengt. Rechts ist ein TW 2000 mit dem größtmöglich zusammengeklappten Pantografen zu sehen – noch immer war damit kein Platz für die Oberleitung und deren Sicherheitsabstand geschaffen.
Eine rampenartige Tieferlegung des kurzen Straßenabschnittes wurde also zwingend notwendig und bedeutete eine weitgehende Umgestaltung des vorgelagerten belebten Zugangs zur Ernst-August-Galerie. Die Taxen-Zufahrten vom Hauptbahnhof mussten verlegt werden, die Bundespolizei könnte ihre Einsatzfahrzeuge an der Ecke des Bahnhofs eventuell nicht mehr parken. Das Gefälle in dieser Minirampe von 40 ‰ (wie auf den „großen” Rampen hat auch betriebliche Nachteile für die Bahnen: Züge zum Raschplatz „rutschen” aus der engen Kurve in den „Posttunnel”, anfahrende Züge Richtung Steintor müssen in die enge Kurve leicht bergan fahren…
Falsche Proportionen: die Suggestion einer problemlosen „Posttunnel”-Haltestelle
Zudem wurde in der Diskussion um die oberirdische Trasse gerne eine Grafik in den Tageszeitungen abgedruckt, die Ihnen bestimmt auch schon bekannt sein dürfte. Diese Visualisierung stammt vom VCD und ist in der Broschüre „Mittendrin statt drunterdurch” zu finden, die frei im Web als PDF einsehbar ist (wir dürfen das Bild nicht reproduzieren). Leider hat dieses Bild von Seite 3 im PDF einen Haken – die dargestellten „Silberpfeile” sind in ihren Proportionen verkleinert worden, damit sie unter diese denkmalgeschützte Brücke passen. Wie geschildert ist ein TW 2000 3,74 m hoch, hier wurde der Wagen auf ca. 80% verkleinert! Wie lässt sich das feststellen? Die gezeigten Menschen direkt neben dem linken Wagen dürften mittelgroß sein, ca. 1,75 m – vergleicht man dies mit den abgebildeten Wagen, dürfte der TW 2000 in Relation nurmehr ca. 3,10 m hoch sein. Auch der rechts noch etwas aus der Unterführung guckende „Silberpfeil” ist kaum höher als ein Citaro-Bus (wir erinnern uns: 3,08 m)… Selbst die sichtbaren Gleiskurven vor der Galerie dürften in der Realität nicht mehr als 15 Meter Radius haben. Ebenfalls bemerkenswert: die alten gusseisernen Säulen der „Posttunnel”-Brücke sind in dieser VCD-Visualisierung nicht zu sehen. Wie sich dann die Brücke tragen soll, bleibt fraglich. Fakt ist, dass diese auf dem Stadtbahn-Bahnsteig eine Barriere bilden. Also, sieht alles schön modern aus, jedoch…
Die VCD-Visualisierung ist nicht wahrheitsgetreu und verzerrt architektonische Fakten.
Der Knackpunkt der oberirdischen Trasse ist aber eine enge Doppelkurve – um eine Straßenbahn von der Kurt-Schumacher Straße in den „Posttunnel” einzuführen, muss eine Fragezeichen-förmige Kurve mit einem Radius von knapp 25 m durchfahren werden. Für Fahrgäste ist dies alles andere als komfortabel. Durch enge Kurven zum Langsamfahren mit 10 km/h gezwungen muss die Bahn durch Fußgänger und Autos pflügen (in Spitzenzeiten zählte man hier 9.000 Passanten pro Stunde [!] und 10.000 Autos am Tag) – Probleme programmiert… Verkehrsdezernent Franz von der Region Hannover wird mit der Aussage in einer Verkehrsausschuss-Sitzung protokolliert: „… dem hohen Fußgängeraufkommen an dieser Stelle müsse man mit langsam fahrenden Bahnen begegnen”. Eine wissentliche Entschleunigung der Stadtbahnen wird dadurch also billigend in Kauf genommen.
Die Probleme dieser „Lösung” im Klartext:
- Maximal 9.000 Fußgänger/Std. kollidieren auf der Kreuzung mit (im schlimmsten Fall bei einem 5-Minuten-Takt) 36 Bahnen/Std.!
- Enge Kurven mit minimalen 25 Metern zwingen zum Langsamfahren mit 10 km/h.
- Busse und Autos stehen auf dem Gleis Richtung Ahlem oder generell im Posttunnel bei Stau – abfahrende und ankommende Bahnen werden behindert.
- Die geplanten S-Bahn-Abgänge sind nur am stadteinwärts liegendem Gleis vorgesehen – zudem nur als Treppen. Folge: nicht barrierefreier Zugang und lange, umwegige Fußwege für S-Bahn-Ankömmlinge in Richtung Ahlem über die Problemkreuzung Ernst-August-Galerie (fast genau so lang wie die monierten Fußwege von der U-Bahn-Station Hauptbahnhof zum S-Bahn-Gleis 1/2). Die Abgänge sind zudem bei der Deutschen Bahn durch Abfluss von Kaufkraft schwerlich durchzusetzen.
- Eine rampenartige Absenkung der Straßen und der Gleise ist nötig, um die erforderliche Durchfahrtshöhe zu erreichen.
Die Posttunnel-„Lösung” generiert mehr Probleme als dass sie sie löst!
Das von Befürwortern einer Oberflächenlösung immer wieder vorgetragene und visualisierte Argument einer Verknüpfung mit den darüber fahrenden S-Bahnen durch Aufgänge in den Brückenlagern ist leicht zu entkräften: Das lukrative Geschäft mit der Laufkundschaft will die Deutsche Bahn natürlich lieber in den selbst betriebenen Einkaufsgalerien machen. Zudem wird die DB auch keinerlei Interesse haben, Geld für kostspielige Gleis- und Bahnsteigumbauten auszugeben. Diese Kosten (Umbau und eventuelle bauliche Schwierigkeiten) sind bei der Oberflächenlösung nämlich noch nicht enthalten! Zudem hat die Region vor Jahren selber festgelegt, dass Haltestellen unter Brücken in Zukunft nicht mehr (aus diversen Gründen) angelegt werden sollen. Das Ganze ist nur mit Treppenabgängen aber nicht barrierefrei, Aufzüge wird man aus Platzmangel zwischen den DB-Gleisen nicht einbauen können (entweder Treppen oder nur Aufzüge). Kritiker des D-Tunnels führen den langen Weg durch den Bahnhof von der U-Bahn-Station zu den S-Bahn-Gleisen an – hier aber ist ein Umsteigen zu den geplanten Hochbahnsteigen von „10/17” genau so lang.
Die engen Kurven sind nicht nur zum Schleichen prädestiniert – die Hüllkurven der Wagen kommen der Galerie-Gebäudeecke ziemlich nahe, was wartende Passanten zusätzlich gefährdet. An dieser Ecke sind Unfälle durch den Fußgänger-Verkehr möglich, Staus von allen Verkehrsteilnehmern werden nicht auszuschließen sein. „Shared Space” ist an dieser Stelle leider eine kaum funktionierende Utopie. Fahrgast- und verkehrsfreundlicher Nahverkehr sieht anders aus! Durch die Posttunnel-„Lösung” droht der überlasteten Kreuzung der Kollaps.